Das Schreiben und die Realität

War in Ukraine

Seit einigen Tagen schreibe ich an meinen Romanen in tiefer Nachdenklichkeit. In meinen Büchern wird gekämpft und getötet, wie in allen Abenteuerromanen. Ob sie nun in der Gegenwart, der Vergangenheit oder der Zukunft spielen, die Geschichten leben von Konflikten. Gewalt hat darin ihren Platz. Auch wenn mein Augenmerk bei Nomads nicht auf militärischen Aspekten liegt, sind sie aus der Reihe doch nicht wegzudenken.
Meine Frau stammt aus Kiew und ist seit 2019 hier in Deutschland. Mein Stiefsohn Alex ist seit Januar hier. Sein Vater ist in der ukrainischen Armee. Alex Freundin floh nach Kriegsbeginn aus Kiew und ist nun hier in München. Meine Schwiegermutter übernachtet, zusammen mit den Nachbarn, im Keller ihres Hauses. Mein Schwiegervater ist Chefarzt einer Klinik und völlig gestresst. Für ihn ist der Krieg eine Sache, die er noch zu erfassen versucht. Die Schwestern meiner Frau mussten alles aufgeben und wohnen nun in Tallin. Mein Schwager wandert durch die Karpaten, nahe Ungarn und Rumänien, um Flüchtenden beizustehen. Eine Freundin meiner Frau befindet sich im Endstadium ihrer Krebserkrankung und ist auf Morphium angewiesen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss angesichts der Schmerzen mit der Sorge auszukommen, bald kein Morphium mehr zu erhalten. Eine Situation, die einem Albtraum gleicht.
Ich habe eine alte Mutter mit schwerer Demenz in einem Seniorenheim. Der Gedanke, dass es nun tausende alter, pflegebedürftiger Menschen gibt, die jetzt auf sich alleine gestellt sind, weil die Pflegekräfte geflohen sind, oder mit der Versorgung der Heimbewohner völlig überfordert.
All das sind Katastrophen, die ein Krieg für die Zivilbevölkerung mit sich bringt und die gerade nahe an unseren Alltag heranrücken. Mir wird bewusst, in welch auenländischen Verhältnissen ich bisher gelebt habe und da spielen die gestiegenen Preise für Sprit und Lebensmittel eine eher untergeordnete Rolle. Natürlich kann ich das nicht ignorieren. Aber es ist etwas völlig anderes, von einem Moment auf den anderen alles zu verlieren und sich auf eine Flucht ins Ungewisse begeben zu müssen. Für uns, die wir alles mit einer unerschütterlichen Gewissheit betrachten und unser Leben für alle Eventualitäten absichern, wäre das eine unüberwindliche Katastrophe. Auch ich ging davon aus, dass alles seinen gewohnten Gang gehen würde, bis man schließlich ins Rentenalter gelangt. Dass das nicht selbstverständlich ist, sondern ein historischer Glücksfall, macht mir nur umso mehr bewusst, dass wir uns, zeit unseres Lebens, auf Messers Schneide bewegen. Wir haben unser Schicksal nicht wirklich im Griff. Alles nur eine trügerische Sicherheit, mit der es jeden Moment vorbei sein kann.

Meine russischen Arbeitskollegen sind völlig konsterniert, angesichts der Entwicklungen. Manche hatten eine durchaus positive Ansicht über Putin, auch wenn seine Medienpolitik und das Unterdrücken von Kritik für Unwohlsein sorgten. In ihren Augen alles notwendige Schritte, die zu einer geeinten Nation führen würden. Das Ansammeln von Truppen und Waffensystemen an der ukrainischen Grenze, nichts als Theaterdonner. Jetzt ist das Erwachen bitter. Viele von ihnen beteiligen sich an Hilfsaktionen oder stellen Unterkünfte zur Verfügung. Ich stehe auch weit ab von Hass, der den Russen entgegenschlägt. Ich habe die Menschen noch nie in Völker und Rassen eingeteilt. Mehr den je wird mir die Notwendigkeit des Weltbürgertums ohne nationale Grenzen bewusst.

Ich frage mich also, inwieweit die realen Verhältnisse meine Geschichten beeinflussen werden. Als ich die Schatzinsel las, hatte ich natürlich meinen Spaß daran, Jim Hawkins und seine Gefährten dabei zu beobachten, wie sie den Kampf mit den Piraten aufnahmen. Ich habe mich nur selten gefragt, wie es denn sein würde, es tatsächlich mit skrupellosen Killern zu tun zu haben. Jemand, der sich schon mal in einer solchen Lage befand, würde vielleicht Probleme mit dererlei Geschichten haben. Als Autor würde er höchstwahrscheinlich keinen unterhaltsamen Roman daraus machen. Für mich waren Krieg, Vertreibung und Flucht Dinge, die ich in den Nachrichten verfolgte. Aus der Ferne. Aus der Distanz. Jetzt geht mir das alles sehr nahe und die Art der Problematik ist vielschichtig. Vom unmittelbaren Leid abgesehen, das mich fern ab der Ukraine nicht direkt betrifft, muss ich mich mit der Suche nach Unterkunft, Versorgung, Absicherung und den dafür zuständigen Behörden auseinandersetzen. Wir haben in den letzten Tagen Hilfslieferungen zusammengestellt, Fahrer organisiert, die alles nach Polen gebracht haben, um die Sachen dort an Flüchtlinge zu verteilen. Mich hat es bewegt, dass unsere Klinik bereits alle entbehrlichen Medikamente, Verbandsmaterial etc. bereits auf den Weg gebracht hatte, als ich danach fragte. Mehrmals hat meine Frau Kartons mit Kleidung zur katholischen ukrainischen Gemeinde in München gebracht, von wo aus täglich Fahrten an die ukrainische Grenze organisiert werden. Spenden zu sammeln und damit einen kleinen Konvoi mit Lebens und Hilfsmitteln zu finanzieren, gehört ebenfalls zu einer neuen Erfahrung.
Ich hätte nicht gedacht, einmal so unmittelbar in Ereignisse verwickelt zu sein, die ein verrückter Diktator vom Zaun gebrochen hat, weil er von vergangenen Zeiten träumt. Von einem Gross-Russland. Wobei sich die Größe nur auf die einstigen Landesgrenzen und die Landfläche bezieht. Groß war im Reich des Zaren auch die Armut und das Desinteresse der Mächtigen an der Bevölkerung. Auch die Revolution hat daran nur zu Beginn etwas geändert, bevor nach den guten Ansätzen alles Visionäre verloren ging. Träume von einem Paradies für alle arbeitenden Menschen verschwanden in restriktiver Bürokratie und dem Wahn von militärischer Bedeutung. Bei Putin scheint dies der einzige Aspekt zu sein, den er, neben der einstigen Ausdehnung der Sowjetunion, mit Größe in Verbindung bringt. Eine ziemlich armselige Vorstellung für die Zukunft einer Nation, die so viele wissenschaftliche und kulturelle Leistungen vollbracht hat.
Ich weiß noch nicht, welchen Einfluss diese persönlichen Erfahrungen, auf meine Arbeit als Autor und die Art der Geschichten haben werden, die ich schreibe. Aber es wird definitiv Auswirkungen haben.


ENGLISH

Fictive writing and reality

For the last few days I have been writing my novels in deep thought. There is fighting and killing in my books, as in all adventure novels. Whether they are set in the present, the past, or the future, the stories thrive on conflict. Violence has its place in them. Even though my attention is not focused on military aspects in Nomads, I can’t imagine the series without them.
My wife is from Kiev and has been here in Germany since 2019. My stepson Alex has been here since January. His father is in the Ukrainian army. Alex’s girlfriend fled Kiev after the war started and is now here in Munich. My mother-in-law is staying, together with the neighbors, in the basement of her house. My father-in-law is the chief physician of a clinic and is completely stressed. For him, the war is one thing he is still trying to grasp. My wife’s sisters had to give up everything and now live in Tallinn. My brother-in-law is wandering through the Carpathians, near Hungary and Romania, to assist fugitives. One of my wife’s friends is in the final stages of her cancer and is on morphine. I can’t imagine what it must be like in the face of pain with the worry of soon being out of morphine. It is a situation that is like a nightmare.
I have an elderly mother with severe dementia in a retirement home. The thought that there are now thousands of elderly people in need of care who are now on their own because the caregivers have fled, or are completely overwhelmed with caring for the residents of the home.
These are all catastrophes that a war brings for the civilian population and that are just coming close to our everyday lives. I realize in what auenländische conditions I have lived so far and there the increased prices for fuel and food play a rather subordinate role. Of course, I can’t ignore that. But it is something completely different to lose everything from one moment to the next and to have to go on a flight into the unknown. For us, who look at everything with an unshakable certainty and safeguard our lives for all eventualities, that would be an insurmountable catastrophe. I, too, assumed that everything would go on as usual until one finally reached retirement age. The fact that this is not a matter of course, but rather a historical stroke of luck, only makes me all the more aware that we are, throughout our lives, walking on a knife edge. We do not really have our fate under control. It’s all just a deceptive security that can be over at any moment.

My Russian colleagues are completely dismayed by the developments. Some had a thoroughly positive view of Putin, even if his media policy and suppression of criticism made them uncomfortable. In their eyes, all necessary steps that would lead to a united nation. The amassing of troops and weapons systems on the Ukrainian border, nothing but theatrical thunder. Now the awakening is bitter. Many of them participate in relief operations or provide shelters. I also stand far from hatred that is directed at the Russians. I have never divided people into peoples and races. More than ever, I realize the need for global citizenship without national borders.

So I wonder to what extent the real conditions will influence my stories. When I read Treasure Island, of course, I had my fun watching Jim Hawkins and his companions take on the pirates. I rarely wondered what it would be like to actually have to deal with ruthless killers. Someone who has ever been in such a position would perhaps have problems with such stories. As a writer, he would most likely not make an entertaining novel out of it. For me, war, displacement and flight were things I followed on the news. From a distance. From a distance. Now it all hits close to home for me, and the nature of the issues is complex. Apart from the immediate suffering, which does not directly affect me far from Ukraine, I have to deal with finding shelter, supplies, security and the authorities responsible for it. In the last few days, we have been putting together relief supplies, organizing drivers to take everything to Poland to distribute the items to refugees there. I was moved by the fact that our clinic had already sent all the dispensable medicines, bandages, etc. on their way when I asked for them. Several times my wife brought boxes of clothes to the Catholic Ukrainian community in Munich, from where daily trips to the Ukrainian border are organized. Collecting donations and using them to finance a small convoy of food and supplies is also part of a new experience.
I didn’t think I would ever be so directly involved in events that a mad dictator has unleashed because he dreams of times gone by. Of a great Russia. Whereby the size refers only to the former national borders and the land area. In the tsar’s empire, poverty and the disinterest of the powerful in the population were also great. Even the revolution only changed this at the beginning, before everything visionary was lost after the good beginnings. Dreams of a paradise for all working people disappeared in restrictive bureaucracy and the delusion of military importance. With Putin, this seems to be the only aspect he associates with greatness, besides the former expansion of the Soviet Union. A rather poor idea for the future of a nation that has accomplished so many scientific and cultural feats.
I don’t yet know what influence these personal experiences will have on my work as a writer and the kind of stories I write.

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