NOMADS Lesung! Nomads 1 – Kapitel 15
(Gelesen von Anni Adler)
Kapitel 15
Zyrus stand der Schweiß auf der Stirn, als er durch die Gänge und Korridore des Katana gestoßen wurde. Ein Trupp von drei grobschlächtigen Kerlen, schien Freude daran zu haben, ihm die Mündungen ihrer Gewehre in den Rücken zu rammen. Ihm blieb ab und an die Luft weg, aber er hatte Angst, sich zu beklagen und ließ die Tortur wortlos über sich ergehen. Immerhin ging die große Frau mit den grünen Augen vor ihm her und bei aller Aufregung und Angst entging ihm nicht, wie aufreizend stolz sie sich bewegte. Die enge Kombination, die sie trug, unterstrich ihre Figur, und Zyrus gingen seltsamerweise ganz andere Gedanken durch den Kopf, als sich zu befreien und davonzulaufen. Es war irritierend, und er hätte gerne gewusst, ob das angesichts seiner Situation normal sein konnte oder ob er gerade dabei war, den Verstand zu verlieren.
Plötzlich blieb die Frau stehen und wirbelte herum. Sie war etwa einen halben Kopf größer als Zyrus und sah auf ihn herunter. Ihre großen, grünen Augen funkelten und in ihrem Gesicht stand ein Ausdruck, den Zyrus nicht recht zu deuten wusste. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie die langen, schlanken Finger ihrer Hand, unter sein Kinn legte. Diese Geste hatte etwas eigentümlich Erniedrigendes an sich.
„Löst seine Fesseln“, befahl sie und einer ihrer Begleiter begann, den Befehl mit groben Handgriffen auszuführen.
„Ich will, dass du etwas für uns tust, Kleiner“, fuhr sie fort und legte beide Hände auf seine Schultern.
Ihr Gesicht war nun so nahe, dass er nichts anderes mehr sehen konnte, als diese wunderschönen Augen, die wie ein Nordlicht im Winter strahlten und funkelten. Ihm war klar, dass diese Frau wusste, wie sie auf Männer wirkte. Ihre bedrohliche Schönheit war gewiss so gefährlich, wie das Waffensortiment, das sie am Gürtel trug. Zyrus war Frauen gegenüber nie besonders zurückhaltend gewesen und wusste bislang jede Gelegenheit zu nutzen, wenn er ein gutes Angebot bekam. Doch diesmal wünschte er sich inständig, diese Bekanntschaft nie gemacht zu haben. Dieses weibliche Wesen gehörte zu einer ganz anderen Kategorie, als jene, in der er sich gewöhnlich zu bedienen pflegte.
„Wir haben hier einige Fledds.“ Sie neigte leicht den Kopf und lenkte damit Zyrus Aufmerksamkeit auf ein verriegeltes Schott hinter ihr. „Wir haben sie gerade eben in einer Zelle zusammengelegt, damit sie sich ein wenig untereinander austauschen. Aber die machen es uns ein bisschen schwer. Wir haben da zwar Mikrofone und Optiken in den Wänden, aber die haben ihre Köpfe zusammengesteckt und einer summt immer laut vor sich hin, wenn sie sich unterhalten. Unmöglich, da was herauszufiltern. Doch manchmal fängt man Füchse mit einem anderen Fuchs.“
Zyrus nickte. „Was soll ich machen?“
„Sie halten dich doch für einen von Ihnen.“
„Der Schwindel ist aufgeflogen“, wandte er ein. „Sicher?“
„Also zumindest hat ihr Anführer zum Schluss was gemerkt.“
„Aber der ist tot“, erwiderte die Frau. „Die da drin sind nur kleine Lichter. Vielleicht haben sie nicht alles mitbekommen. Und wie ich es beobachtet habe, hat er dir noch die Waffen ausgehändigt, bevor ihn das Schicksal ereilte und sich die Ereignisse überstürzten. Ich denke, die Verwechslung ist noch nicht von allen durchschaut. Also? Willst du uns behilflich sein?“
Zyrus überlegte eine Weile. Ihm gefiel es irgendwie, dass die Frau ihn brauchte und offenbar Vertrauen in ihn setzte, nützliche Informationen für sie ergattern zu können. Nicht ganz ohne Stolz sagte er zu.
Im nächsten Moment erhielt er von hinten einen Schlag in die Kniekehlen, der zu Boden gehen ließ. Die Frau rammte ihm ihr Knie ins Gesicht, dass er Sterne sah. Für einige Sekunden wankte Zyrus und während ihn die Piratin stützte, füllte sich sein Mund mit Blut. Er hatte sich auf die Zunge gebissen und die Unterlippe war aufgeplatzt. Der Schmerz raubte ihm die Sinne. Er benötigte eine Weile, bis er wieder völlig bei Verstand war.
„Und jetzt, wo wir uns näher gekommen sind“, sagte sie sanft und mit einem Lächeln, wobei sie ihm erneut die Hand auf die Schulter legte. „Ich heiße Aleena. Viel Glück jetzt.“
„Ich kann kaum was sagen“, stammelte Zyrus, während ein Rinnsal aus Speichel und Blut auf seinen Kragen tropfte.
„Gut so.“ Sie nahm ihn sanft an der Schulter und schob ihn an die Schleuse heran. „Dann wird es dir schwerfallen, dich zu verplappern.“
Nach einem kurzen Blick durch einen schmalen Sehschlitz in das Innere der Zelle, öffnete sie die Tür und stieß Zyrus hinein. Er taumelte und stürzte zu Boden. Hinter ihm schloss sich das Schott, mit zischendem Geräusch.
Es befanden sich drei Männer in der Zelle, die gerade dicht beisammensaßen und sich offenbar miteinander unterhielten. Einer löste sich aus der Gruppe, um Zyrus aufzuhelfen. Es war der älteste der Drei und hatte bereits einige graue Haare.
„Ist nicht gerade ein Hotel“, scherzte er.
Zyrus gelang es nicht, mit einer spaßigen Bemerkung zu kontern, obwohl ihm schon eine passende Erwiderung auf seiner verletzten Zunge lag. Nicht über das Essen klagen, wollte er sagen, aber als er es versuchte, durchzuckte ein stechender Schmerz seinen Mund.
„Die haben sich mit den Falschen angelegt“, bemerkte einer der Fledds, der neben seinem Kumpel auf dem Boden hockte. Ein junger Mann mit blondem Bürstenschnitt. „Die werden noch bereuen, uns Probleme gemacht zu haben.“
Zyrus nickte. „Ich hoffe, wir bleiben nicht lange.“ Er verstand seine eigenen Worte kaum und es tat weh, zu sprechen.
„Welches Schiff?“, fragte der Dritte – ein korpulenter Mann, mit Glatze.
„Lasst ihn erst mal“, wandte der Ältere ein und forderte Zyrus auf, sich zu ihnen auf den Boden zu setzen, um das vertrauliche Gespräch fortzusetzen, das sie gerade unterbrochen hatten.
Die Männer legten die Arme um seine Schultern und der Junge mit dem Bürstenschnitt fing mit dem Summen an. Ein durchdringender, tiefer Brummton, der alle Worte überdecken sollte, die gesprochen wurden.
„Noch mal“, begann der Glatzkopf von Neuem. „Welches Schiff?“
Zyrus musste nicht vorgeben Schmerzen beim Sprechen zu haben. Die Lippen zu bewegen, war fast unmöglich. Das gab ihm immerhin etwas Zeit, sich an den Namen des Schiffes zu erinnern, den ihm der Anführer der Fledds zuvor genannt hatte.
„Hades“, murmelte er schließlich.
„Seid einfach abgehauen“, meinte der Glatzkopf verärgert.
„Kann ich nicht beurteilen.“ Zyrus sabberte blutigen Schaum. „Hat der Captain entschieden.“
„Sunders ist schon immer ein Feigling gewesen.“
„Sunders hat Verluste vermieden“, verteidigte der Älteste der Gruppe den Captain. „Das kann man von Brent und Moody nicht behaupten. Die lassen gerne mal jemanden für sich bluten. Ich glaube nicht, dass Brent nach uns suchen wird.“
Zyrus nickte und merkte sich die Namen der Captains.
„Spielt ja keine Rolle mehr.“ Der Glatzkopf runzelte verärgert die Stirn und zischte durch die Zähne. „Wenn es stimmt und wir hier nicht von Chester wegkommen, sind wir ohnehin geliefert.“
Das klang ernst. Zyrus war ganz Ohr.
„Das stimmt leider“, sagte der Alte. „Die Keymon wollen einen Ausgleich für ihre Verluste. Und sie schicken ein großes Schiff her, um Chester abzuernten. Die werden nicht zwischen uns und anderen unterscheiden. Bin mir sicher, die Hydra hat bereits ohne uns abgelegt, um den Käfern nicht unnötig in die Quere zu kommen. Und die Hades auch. Wir sind also auf uns allein gestellt.“
Zyrus jagte ein Schauer über den Rücken. „Die kommen hier her?“
Der Junge signalisierte mit Handzeichen, dass er Luft holen musste. Dann summte er wieder vor sich hin.
„Die werden alles platt machen“, fuhr der Glatzkopf fort. „Sie schicken ihre Hunde aus und vielleicht bekommen wir sogar mal die Keymon selber zu Gesicht. Das wäre mal was.“
„Das dürfte kein Vergnügen werden“, gab der Alte zu bedenken.
„Wäre gut, wenn wir bis dahin wieder ein eigenes Schiff haben.“
„Dafür dürfte die Zeit nicht ausreichen.“ Der Ältere schürzte die Lippen. „Wir müssen darauf vertrauen, dass die Piraten zurechtkommen, wenn es losgeht.“
„Und hoffen einfach, dass sie uns nicht über Bord werfen.“
Zyrus überwand seine Schmerzen. „Wir sollten sie warnen.“
Der Glatzkopf knurrte Zyrus an. „Dann könnten wir uns gleich eigenhändig die Kehle durchschneiden. Wir sollten vielleicht allem seinen Lauf lassen. Unter Umständen lassen uns die Keymon ja in Ruhe, wenn sie sehen, dass wir zur Flotte gehören.“
Der Alte lächelte mitleidig. „Das glaubst du doch selber nicht. Ich schätze, dass sie nach dem Verlust von Samaria auch die Schiffe der Flotte angreifen könnten, um sich einen Ausgleich für die entgangenen Lieferungen zu verschaffen.“
Zyrus versuchte, aus dem Gespräch seine Schlüsse zu ziehen. Sollte das alles heißen, die Flotte hätte ein Abkommen mit den außerirdischen Schlächtern?
„Aber keine Sorge“, beschwichtigte der Alte. „Wenn das Chaos ausbricht, stehen unserer Chancen gar nicht schlecht. Ich bin geschickt darin, mich zurechtzufinden, wenn es drunter und drüber geht. Von euch kann niemand Latein, nehme ich an.“
Zyrus wollte zuerst widersprechen, doch stattdessen wischte er sich mit dem Ärmel über die blutigen Lippen.
„Man braucht ein Passwort, damit die Keymon nicht angreifen.“ Er machte eine bedeutungsschwere Pause. „Das lateinische Wort für Flüchtling.“
Lanius, kam es Zyrus in den Sinn, behielt es aber für sich.
„Hat sich irgend so ein sentimentaler Spinner im Flottenkommando ausgedacht.“
Zyrus gingen die Nerven durch. Er musste diese Information an Perk weitergeben. So schnell wie möglich – noch ehe die Keymon eintrafen. Er beschloss, die Komödie zu beenden, löste sich aus der Umarmung der Gruppe und sah sich nach versteckten Kameras und Optiken um. Wie konnte er den Beobachtern Zeichen geben, ihn rauszuholen.
Der Junge unterbrach sein Gebrumme. „Was ist los?“
Zyrus machte einige Schritte rückwärts zur Tür und trat mit der Ferse gegen das Metall.
„Platzangst?“, erkundigte sich der Alte.
„Sieht nicht so aus.“ Der Glatzkopf zog einen dünnen, silbrigen Draht aus dem Kragen seiner Jacke. „Der gehört nicht zu uns. Seis es drum. Er wird gleich bluten.“
Der Blonde sprang auf und war im nächsten Moment, mit seinen Fingern an Zyrus Kehle. „Ich krieg ihn zuerst.“
Zyrus taumelte gegen das Schott und schrie. Der Glatzkopf packte seinen rechten Arm, der Alte seinen Linken. Gemeinsam zerrten sie ihn auf den Boden. Er erhielt einen Tritt in den Bauch. Zyrus spürte, wie sich der Glatzkopf auf seinen Rücken kniete. Der Mann legte gerade den Draht um Zyrus Hals, als er das Zischen der Türmechanik hörte. Das Gewicht des Fledd drückte ihm die Luft aus den Lungen. Zyrus wurde schwarz vor Augen. Dumpf vernahm er Geschrei, das Trampeln von Stiefeln. Dann ein Schuss. Der schwere Mann sackte leblos auf Zyrus Rücken zusammen. Die Last des schlaffen Körpers drückte ihm weiter die Luft aus der Brust. Ein weiterer Schuss krachte und die Energiesalve entlud sich funkensprühend an der Wand. Dann wurde es still um Zyrus und dunkel vor seinen Augen, bis endlich jemand den toten Körper von ihm herunter zerrte. Erneut wurde Zyrus unsanft gepackt und aus der Zelle geschleppt. Nach und nach kehrte das Bewusstsein zurück. Zwei Männer hielten ihn fest, sodass er Aleena in die Augen sehen konnte. Der Anblick entschädigte ihn ein wenig für die Umstände.
„Das ist ziemlich schnell gegangen.“ Aleenas Stimme und Miene zeigten ihre Erwartung an, Zyrus müsse etwas wirklich Wichtiges zutage gefördert haben. „Bist du ein Talent im Streitsuchen oder hast du dich nur dämlich angestellt?“
„Wir müssen weg von hier“, keuchte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Ein Keymonschiff wird Chester angreifen.“
Aleenas Blick wanderte zwischen Zyrus und den beiden Fledds hin und her, die auf dem Boden lagen und gerade gefesselt wurden. „Haben die das behauptet?“
„Ja“, antwortete Zyrus und sabberte roten Speichel. „Und auch wie man entkommt.“
Der alte Fledd lachte. „Sag es ihnen nur, Junge. Aber das ist noch nicht alles, was man wissen muss, um zu entkommen.“
Zyrus nahm sich Zeit, um seine Worte genau zu artikulieren. „Man muss den Keymon das lateinische Wort für Flüchtling übermitteln. Dann lassen sie einen durch.“
„Lanius?“, fragte Aleena ungläubig. „Das ist alles?“
„Ja, das ist alles.“
Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Und auf welcher Frequenz?“
Zyrus zögerte. Das hatte er nicht herausbekommen. Hätte er nicht die Nerven verloren, würde er vielleicht auch diese Information herausgefunden haben. „Na, ich würde alle Frequenzen versuchen.“
Einer der Piraten hinter Aleena lachte verächtlich auf. „Alle Frequenzen. So ein Idiot.“
„Ihr kommt hier nicht weg ohne uns“, sagte der leicht ergraute Fledd. „Ich schlage euch einen Handel vor.“
Aleena trat an den Mann heran. „Ich wäre zu einem Handel bereit, wenn du mir meinen Kumpel wiederbringen kannst. Er wurde von euch entführt, vor einigen Tagen. Sag mir, wo ich ihn finden kann, und ich erfülle dir einen Wunsch.“
Der Fledd schwieg. Offenbar gingen seine Kompetenzen nicht so weit, Aleenas Forderung nachzukommen.
Sie wandte sich an einen ihrer Männer. „Sagt dem Captain der Zora, sie sollen jemanden schicken ihren Mann abzuholen. Und teilt Blake mit, dass wir von hier verschwinden.“ Daraufhin drehte sie sich wieder dem Fledd zu. „Ich hole mir meine Informationen. Da kannst du Gift drauf nehmen.“
Als man Zyrus wegbringen wollte, riss er sich aus dem Griff eines der Piraten los.
„Ich bleibe“, sagte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Ich muss das auch wissen.“
„Du gehst jetzt nach Hause.“ Aleena grinste breit. „So, wie ich den Alten einschätze, kann das etwas dauern. Kontaktier mich später deswegen.“
Sie folgte ihren Männern in die Zelle und schloss das Schott.