NOMADS LEGACY – HÖRBUCH (Der unendliche Traum – Kapitel 4)

NOMADS LEGACY – Hörbuch (Kapitel 4)

Der Unendliche Traum. Gelesen von Georg Bruckman.

Eine weiteres Hörbuch Kapitel. In diesem Fall stammt die Lesung nicht aus der NOMADS Reihe um Dominic Porter. Bei “Der Unendliche Traum“ handelt es sich um eine Geschichte, die zwar im NOMADS Unversum spielt, jedoch zu einem Zeitpunkt der weiter in der Zukunft liegt. NOMADS spielt im 5. Jahrtausend, wohingegen NOMADS LEGACY im 130. Jahrtausend angesiedelt ist.

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Leseprobe

NOMADS – LEGACY
Short Stories

Der Unendliche Traum

Kapitel 4

Ein gutes Team

Die nächsten Tage vergingen, ohne dass der seltsame Gast wieder auftauchte. Immerhin hielt sich Briggo mit Schikanen zurück. Nicht, dass er aufgegeben hatte, Sareena Schwierigkeiten zu machen, aber er tat das immer mit einem geflissentlichen Blick nach allen Seiten und auf subtilere Art. Er suchte einfach gefährliche Tätigkeiten für sie aus und eine besonders gefährliche Beschäftigung war es außen, auf der Schlotkrone der Anlage, zu arbeiten und Risse auszufüllen oder mit Klammern zu fixieren. Dazu musste man sich, wie bei vielen Arbeiten auf der Tauvaruwelt, in eine schwere Metallmontur hineinzwängen, die mit allerlei Werkzeugen ausgestattet war. Wer sich damit ungeschickt anstellte, hatte schlechte Karten. Dazu kamen die unheilvollen Wetterbedingungen auf den Tauvaru. In den Gebirgen, die den Planeten entlang der unveränderlichen Tag-und Nachtgrenze umliefen, herrschte ewige Dämmerung. Die eine Hälfte des Himmels strahlte in unheimlichem Rot, die andere war eingehüllt in tiefes Blau und ewiges Dunkel. Zwischen diesen beiden Extremen kam es ständig zu einem regen Austausch von heißen und kalten Luftmassen. In einem Augenblick war es heiß, im nächsten Moment sackte die Temperatur ab, bis weit unter den Gefrierpunkt. Die warmen und kalten Luftmassen lagen in ständigem Kampf und zermalmten in ihrem Ringen Felsen und Berge.
Gehüllt in die schweren Arbeitsanzüge, traten Sareena und einige andere Häftlinge, von der Plattform des Aufzuges, auf den soliden Boden der Schlotkrone.
„Lohnt sich das überhaupt noch?“, fragte Sareena, als ihr Blick über die Oberfläche der Schlotkrone schweifte, die übersät war mit zahllosen oxidierten Metallklammern. Etliche Risse waren zusätzlich noch mit einer Art grauen Kittmasse gefüllt, die dem ganzen Gebäude das Muster von Marmor verlieh.
„Eigentlich nicht“, antwortete eine Frau, die Tonja hieß und die sie vor ein paar Tagen kennengelernt hatte. „Ich gebe der Anlage noch höchstens zwei Jahre.“ Sie drückte das Schussgerät, das an ihrem Arm montiert war, auf den Boden und stanzte eine Klammer in den Beton. Dann richtete sie sich auf und deutete mit der Apparatur über Sareenas Kopf hinweg. „Siehst du das Gebilde dahinten?“
In der Ferne, am steilen Hang eines Vulkans, konnte Sareena eine große Konstruktion erkennen, die sich an den Berg schmiegte wie ein an Land gespülter Krake. Dahinter wölbten sich gigantische Sturmwolken, in denen blaues und gelbes Feuer aufflackerte. Blitze schlugen in die Metallkonstruktion ein, Donner rollte heran.
„Das ist eine Bohrvorrichtung“, erklärte Tonja weiter. „Sie wird bald den Glutfluss erreichen. Ich schätze, in einem Jahr wird die Anlage in Betrieb genommen. Dann ziehen wir um. Wenn uns nicht ein Erdbeben vorher den Garaus macht und uns alle ins Tal schüttelt.“
Sareena nickte, während der Feuerwind, der heulend durch das Tal fegte, ihren Anzug aufheizte. Im Inneren ihres Cockpits neigte sie den Kopf beiseite und saugte vorsorglich an einem Trinkhalm.
„Wir sollten uns beeilen“, bemerkte Sareena. „Dieses Unwetter bei der Bohrung kommt rasch näher. Die Temperatur steigt bereits rapide an. Es hat jetzt einhundertsiebzig Grad.“
„Du denkst, wir schaffen das nicht rechtzeitig?“, prustete Tonja. „Da könntest du recht haben. Wir haben gut dreihundert Klammern zu setzen.“ Sie rüttelte bekräftigend an dem Wagen, den sie mit sich führte und in dem die Klammern klirrten. „Briggo lässt uns erst wieder rein, wenn wir sie alle eingestanzt haben.“ Tonja schoss eine weitere Klammer in den Beton. „Also beeile dich, Kleine.“
Sareena tat ihr Bestes, blickte aber immer wieder zu den dunklen Gewitterwolken hinüber, die sich schnell näherten. Noch immer fühlte sie den heißen Wind, der von der Tagseite der Tauvaruwelt herüber blies und sie mit Gewalt mal hier und mal dorthin drückte. Er wehte nicht mehr stetig, sondern wechselte ständig die Richtung, wild und launenhaft. Manches Mal musste Sareena um ihr Gleichgewicht kämpfen und ruderte dann hilflos mit den Armen herum.
„Fußanker“, hörte sie Tonja sagen.
Sareena wandte sich ihrer Kollegin zu, die mit ihren Eisenhänden an die Seiten ihrer Oberschenkel deutete, wo je ein Haken zu sehen war.
„Fußanker“, wiederholte Tonja. „Du stellst dich gerade hin. Finger in die Haken, nach oben ziehen – Peng! Zwei Bolzen heften dich an den Boden. Ziehst du nochmal – Peng! Werden sie abgeschlagen und du kannst wieder laufen. Verstanden?“
Sareena versuchte, in ihrem starren und klobigen Anzug ein Nicken anzudeuten. Tonja schien die Geste wahrgenommen zu haben und arbeitete weiter.
Keine fünf Minuten später hatte sich der Himmel verfinstert. Blitze flackerten in der Dunkelheit und krachender Donner ließ die Erde zittern. Der Wind hob erneut an, aber er wehte jetzt kühl und es begann zu regnen. Die Tropfen prasselten herab, wie eine Sturzflut, und schließlich mischten sich Hagel und Schnee darunter. Die Eisgeschosse trafen Sareena und die metallene Rüstung dröhnte wie unter Hammerschlägen. Heißer Dampf stieg von den gegossenen Steinplatten auf und behinderte die Sicht.
„Aufpassen!“, rief Tonja. „Der Boden vereist.“
Kaum hatte Tonja Sareena gewarnt, glitt sie selbst aus, fiel hin und rutschte hilflos über das Eis. Der Sturm, der nun Schneeflocken in dichten Schleiern vor sich hertrieb, schob Tonja über den rutschigen Beton. Sie schlitterte über die Eisfläche und versuchte verzweifelt, mit ihren Eisenfingern Halt zu finden.
Sareena reagierte sofort. Sie lief, so gut es ging und so schnell sie konnte, über den glatten Untergrund, um Tonja abzufangen. Die Tengiji betätigte den Auslöser für die Fußanker. Daraufhin erfolgte ein Schlag und durchfuhr ihren Anzug, der ihr beinahe die Knochen in den Beinen gebrochen hätte. Im nächsten Augenblick stand sie buchstäblich wie angewurzelt. Tonja krachte gegen ihre Beine, krallte sich fest und blieb reglos liegen.
Der Sturm brach nun mit aller Gewalt los. Hagelsteine, so groß wie Äpfel, schossen aus jeder erdenklichen Richtung auf sie herab und zerplatzten mit dumpfem Knall auf dem Stein der Schlotkrone.
„Hat keinen Zweck, wegzulaufen“, hörte sie Tonja sagen. „Wir warten, bis es vorbei ist.“
„Ich hätte jetzt glatt ein Tänzchen gewagt“, antwortete Sareena ironisch, um ihre Angst zu überspielen.
Das Metall ihres Anzugs begann zu summen. Erst war es ein leises Wispern, aber es schwoll schnell zu einem ohrenbetäubenden Pfeifen an.
„Blitzschlag“, sagte Tonja und in diesem Moment schlug der Blitz auch schon in ihren Anzug ein. Die Rüstung dröhnte wie eine Glocke, die von einem Wahnsinnigen mit einem Schmiedehammer malträtiert wurde. Die Ladung wurde zwar abgeleitet, aber gegen den Lärm gab es keinen Schutz.

Der Sturm hielt eine ganze Stunde an. Viele Male wurde Sareena vom Blitz getroffen, und solange sie in der Rüstung steckte, gab es keine Möglichkeit, sich die Ohren zuzuhalten. In ihrem Kopf pfiff und schrillte es, als wolle ihr Gehirn zerbersten.
Inzwischen waren die beiden Frauen mit einer dicken Schnee-und Eisschicht überzogen, die es ihnen unmöglich machte, sich zu bewegen. Als sich der Schneesturm verzog, begann der Gluthauch über den Fels zu wehen. Er kam aus der Zenitwüste, und das Eis fing an zu schmelzen. Bald hatte Sareena wieder freie Sicht durch den Sehschlitz ihres Helmes. Sie versuchte, die anderen beiden Arbeiter zu entdecken, die mit ihnen auf die Schlotkrone gekommen waren, aber von ihnen fehlte jede Spur. Nur der Karren mit den Klammern war noch da, umgestürzt und an die Brüstung geweht wie vergessenes Spielzeug.
Tonja rappelte sich mühsam auf. „Verdammt noch mal“, fluchte sie. „Jetzt müssen wir ihren Job auch noch erledigen.“
Es vergingen einige Stunden. Der Glutwind war inzwischen noch stärker geworden und so heiß, dass Sareena beinahe das Gefühl hatte, wieder auf dem Grund der Lavagrube zu sein. Ihr Anzug schien zu glühen und wieder rann ihr der Schweiß in Strömen über den Körper. Als die letzte Klammer gesetzt war, bauschten sich erneut hohe Wolkentürme über den Berggipfeln und der Wind wurde wieder unberechenbar. Blitze schlugen in die Flanke des nahen Gebirgszuges ein. Felsen lösten sich und krachten in die Tiefe.
Als Tonja und Sareena auf die Plattform des Aufzuges traten, der sie wieder nach unten beförderte, brach erneut ein Unwetter los und ein wahrer Sturzbach ergoss sich in den Aufzugschacht. Zischend verdampfte das Wasser, als es auf die glühenden Rüstungen traf.
„Na, das war doch mal ein Spaß“, meinte Tonja lakonisch. „Bist du das nächste Mal auch dabei?“
„Wie wär es, wenn du dich dafür bedankst, dass ich dir das Leben gerettet habe?“, gab Sareena etwas säuerlich zurück.
„Danke sagen?“, fragte Tonja und irgendwie schien sie nicht zu Scherzen aufgelegt. „Danke dafür, dass ich mich hier weiter quälen darf? Du spinnst wohl.“

Briggo teilte Sareena weiterhin zu gefährlichen Einsätzen ein und sorgte dafür, dass Jig, Jem und Tonja sie dabei begleiteten. Ein Einsatz führte die Gruppe zu den Fundamenten der Anlage, wo sie eine eingestürzte Mauer instand setzen mussten. Als sie wieder in ihr Quartier zurückkehrten, war Sareena verärgert. Den ganzen Weg zurück hatten die Freunde hitzig miteinander diskutiert. Jig und Jem machten sich einen Spass daraus sie necken und ihren Verstand anzuzweifeln. Als sie alle vier unter der Dusche standen, hatte sich die Tengiji schließlich in Rage geredet.
„Ich bin doch nicht verrückt“, verteidigte sich Sareena. „Ich hab noch alle Sinne beisammen, das schwöre ich euch.“
Jig ließ sich gerade das Wasser über das Gesicht laufen. „Bei Tengiji weiß man das nicht so genau“, blubberte er unter dem dichten Wasserschwall. „Ihr nehmt doch auch so Zeugs, was ne lange Nachwirkung hat. Oder seh ich das falsch? Kann doch sein, dass du auf Entzug bis. Da kann ziemlich Komisches mit einem passieren.“
Jem grinste und der Seifenschaum rann in seine Augen. „Fana“, stammelte der Oponi und rieb sich die Augen. „Fana und Esterin sind die Drogen, die Tengiji einnehmen, kurz bevor sie in den Kampf ziehen. Erhöhen zwar die Reaktionsfähigkeit, aber danach bezahlt man gehörige Zinsen, in Form extremster Entzugserscheinungen, oder irre ich mich?“
Sareena antwortete nicht. Die beiden hatten recht und sie wollte keinen Streit über ihren rituellen Drogenkonsum vom Zaun brechen.
„Ich hatte mal eine dunkelhaarige Tengiji“, fuhr Jem fort. „Die hatte sich wohl gerade eine Überdosis Esterin eingefahren. Normalerweise kann ich mit Menschenfrauen keine Paarung vollziehen, ohne in Kauf zu nehmen, dem Mädchen ernstlich Schaden und Schmerzen zuzufügen. Aber die ging dabei ab, ich kann euch sagen.“
Sareena trat ganz nahe an Jem heran. So nahe, dass ihre Brüste den Bereich unterhalb seines Nabels berührten. Er fuhr zusammen und sah überrascht und blinzelnd auf Sareena herab. Diese plötzliche Nähe verunsicherte ihn.
„Willst du wissen, ob ich auch noch auf Esterin bin?“ Sareena drückte sich an ihn und rieb ihr Knie an seinem Unterschenkel. „Hm? Willst du mich ausprobieren, gleich hier?“
Es war totenstill, bis auf das rauschende Wasser, das von der Decke prasselte.
„Komm schon“, beschwichtigte Jig. „Er hat es nicht so gemeint. Wollte wohl nur ein bisschen angeben.“
Tonja fasste ihre Freundin bei der Schulter und zog sie von Jem zurück.
„Natürlich hat er es so gemeint“, sagte Tonja und betrachtete den Oponi abschätzig. „Und so weh kann das gar nicht tun.“
Jig lachte lauthals. „So weh kann das gar nicht tun“, wiederholte er und grinste seinen Freund schelmisch an.
Tonja seifte inzwischen Sareenas Haare ein und schüttelte den Kopf. „Männer scheinen immer dem gleichen simplen Programm zu folgen. Egal welcher Spezies sie angehören.“ Sie musterte den Akkato und den Oponi. „Und wenn ihr es wissen wollt“, fuhr sie fort, indem sie das Thema der vorangehenden Diskussion wieder aufnahm, „wenn Sareena etwas gesehen hat, dann war das ein Silsil.“
„Die gibt es genauso wenig wie all die anderen Sachen, von denen so geplaudert wird“, widersprach Jem sofort.
Jig schwieg.
„Hab selbst schon eines gesehen“, sagte Tonja. „Sargon hat sie als zusätzliches Teufelszeug auf den Tauvaruwelten angesiedelt.“
„Von was leben die denn?“ Jem war keineswegs überzeugt.
„Sie fressen Mineralien“, erklärte Tonja und wusch Sareenas Haare liebevoll, beinahe verträumt. „Ich versteh, dass du sie nicht abschneiden willst“, flüsterte sie der Tengiji ins Ohr. „Sie sind geradezu prachtvoll.“
„Von Mineralien?“ Jem schüttelte den Kopf. „Da würde ich mich mal beim Kantinenchef beschweren.“
„Ganz genau“, sagte Tonja. „Die können es kilometerweit riechen, wenn mal was Proteinhaltiges in ihr Revier eindringt. Und das holen sie sich dann.“
„Ich hole mir eine Runde Schlaf“, sagte Jem, schlang sich sein Handtuch um die Hüften und ging hinaus. Jig schloss sich ihm an und ließ die beiden Frauen alleine.
Einige Augenblicke war es still. Sareena hatte die Augen geschlossen, genoss das warme Wasser, das über ihren Körper rann und wie Tonja ihr die Haare wusch.
„Du riechst wie die Meeresbrandung auf meiner Heimatwelt.“ Tonjas Stimme war weniger als ein Flüstern, als ihre Fingerspitzen zärtlich Sareenas Rücken berührten. Sie legte ihre Wange an die Schulter ihrer Freundin, und begann deren Arme zu streicheln. Ihre Finger wanderten abwärts und liebkosten Sareenas Hüften. Ihr Körper war fest und durch unzählige Kampfübungen trainiert, die Haut glatt und frisch wie die einer Jugendlichen.
Tonja ging nicht weiter. Sie ließ ihre Hände auf Sareenas Hüften ruhen und ihre Wange an ihrem Nacken. Sareena fühlte, wie ein Zittern Tonjas Körper durchlief und ihre Tränen benetzten die Schulter der jungen Tengiji. Sareena drehte sich herum, und während sie ihre Freundin umarmte, sank Tonja schluchzend zu Boden, wobei sie Sareena mit sich zog. Sie drückte ihren Kopf an Sareenas Brust und begann zu weinen. Sie wirkte zerbrechlich und schwach, wie ein Kind. Die Tengiji umarmte ihre Freundin liebevoll, während diese schluchzte und von Weinkrämpfen geschüttelt wurde.

Neue Häftlinge waren angekommen, um die Lücken der Mannschaft zu füllen. Von den Frauen, die mit Sareena angekommen waren, war nur noch eine übrig, die jedoch sehr für sich blieb und jeglichen Kontakt, wenn er nicht unbedingt sein musste, vermied.
Jem und Jig gaben ihre übliche Willkommensansprache zum Besten, dann ließ man die Neuen alleine.
Zu Anfang hatte Sareena vorgehabt, sich der Neuen anzunehmen, so wie sie sich das von den anderen gewünscht hatte, als sie hier ankam. Allerdings begriff sie mehr und mehr, dass jemand selbst aktiv werden musste, um sein Leben zu retten. Sareena konnte nicht entscheiden, wem sie den Vorzug hätte geben sollen. Persönliche Sympathien zählten hier nicht. Sie musste dem den Vorzug geben, der noch nicht resigniert hatte und sein Leben wirklich retten wollte. Alles andere wäre reine Zeitverschwendung. Sareena hasste diese Überlegungen, aber unter diesen Umständen war es das Vernünftigste.

Wieder vergingen einige Tage, an denen Sareena in der Schmelzgrube arbeitete und dafür sorgte, dass das geschöpfte Aure durch die Kanäle in die Schmiede geleitet wurde. Die Arbeit war anstrengend, aber weniger gefährlich als andere Tätigkeiten außerhalb der Anlage. Ab und an bebte die Erde, aber das war weitaus harmloser als der unberechenbare Wind und die Wetterkapriolen bei den Außenarbeiten.
Gerade wurde ein Behälter ausgegossen und in einem gleißenden Funkenregen floss das Aure in eine Mulde, von der aus es in viele Richtungen abgeleitet wurde. Über dem Boden bildete sich dabei ein spinnennetzartiges Muster, das in hellem Gelb leuchtete. Man musste aufpassen, nicht in einen der Kanäle zu treten, aber Sareena hatte es schnell gelernt, zwischen den glühenden Bächen umherzulaufen und sie mit einem langen Stecheisen frei zu halten. Schwieriger war es aber, den anderen Arbeitern auszuweichen, die manchmal sehr unvorhersehbare Bewegungen vollführten. Besonders wenn es sich um Neuankömmlinge handelte, die noch unsicher waren. Mit einem Mal fühlte sich Sareena beobachtet. Sie fuhr herum, aber da war niemand. In der rauchigen Luft war es ohnehin schwierig, jemanden zu erkennen. Sie wischte sich über das Glas ihrer Schutzbrille und spähte in den wallenden Qualm. Nein, da war niemand, der sie beobachtete. Alle, die sie sehen konnte, waren damit beschäftigt, ihre Aufgaben zu erfüllen. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass jemand in der Nähe war, der ihr nachspionierte.
„Du gefällst mir“, hörte Sareena jemanden sagen und fuhr herum.
Sareena sah in das Visier eines Kampfanzuges. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück, nahm Abwehrstellung ein und hob ihr Stecheisen wie einen Speer vor sich. Sie sah einen Mann in voller Kriegsrüstung. Er trug allerdings keinen gewöhnlichen, metallgrauen Körperpanzer, sondern einen goldfarbenen, mit unzähligen, kunstvollen Verzierungen. Gravuren von feinster Machart brachen das Licht an vielen Stellen. Ohne Zweifel die Rüstung eines sehr reichen Adeligen.
„Wer bist du?“, fragte Sareena. Ob sie wollte oder nicht, sie konnte ein Zittern nicht verhindern. Das lag weniger daran, einem Kämpfer gegenüberzustehen – dazu war sie schon in zu vielen Schlachten gewesen – als vielmehr an der seltsamen Situation und dem Gerede über den Sudey.
„Es ist nicht wichtig, wer ich bin“, antwortete der Mann und tippte gegen die Spitze ihres Stecheisens. „Es ist nur wichtig, dass du mich nicht enttäuschst. Ich verliere nämlich schnell das Interesse, wenn jemand meine Erwartungen nicht erfüllt.“
„Bist du der Sudey?“, wollte Sareena wissen.
Der Mann lachte, ging aber nicht darauf ein. „Ich will dir nur eines sagen.“ Er machte eine beschwichtigende Geste und Sareena senkte ihre Waffe. „Du wirst von hier fliehen“, sagte er. „Mehr noch, du wirst dich emporheben mit den Schwingen eines Adlers und dich über alle erheben, die dir Böses wollen.“
Sareena wusste nicht, was sie davon halten sollte. „Ich taste mich vorwärts. Schritt für Schritt. Und wenn ich genug weiß, dann finde ich immer einen Weg“, entgegnete sie. „Meinen Weg. Auf meine Weise.“
„Du wirst bald herausfinden, dass es auf diese Art kein Entkommen gibt“, sagte der Fremde mitfühlend. „Aber ich werde mich nicht in deine Pläne einmischen oder dich behindern. Und wer weiß, vielleicht wirst du mich tatsächlich überraschen.“
Sareena konnte nicht sagen, ob sie einer Sinnestäuschung unterlag, aber der Fremde begann sich vor ihren Augen aufzulösen wie eine Nebelwolke. Vor Überraschung und Schreck machte die Tengiji einen Sprung nach vorne, schwang ihr Stecheisen und hieb auf die Stelle ein, wo eben noch der fremde Krieger gestanden hatte. Ihrer Kehle entfuhr ein Schrei, so dass alle Häftlinge in der Nähe ihre Arbeit für einen Moment einstellten.

Bei einem Unglück in der Energiestation waren acht Mechaniker verletzt worden und befanden sich auf der Krankenstation. Darum versetzte Briggo Jem, Jig, Sareena, Tonja und einige andere, die technische Fertigkeiten besaßen, vorübergehend in die Werkstätten. Dort wurden schwere Maschinen, allerlei kleines Gerät und vor allem die stark strapazierten Schutzanzüge repariert. Die Arbeit in den Werkstätten war angenehm, da die Räume besser klimatisiert und belüftet waren. Diese Arbeit war natürlich sehr begehrt, da man in den Werkstätten einigermaßen sicher war. Sowohl vor den tödlichen Arbeits- und Umweltbedingungen auf den Tauvaru, als auch vor den Schikanen der Aufseher. Allerdings waren die Mannschaften der Werkstätten eine eingeschworene Gemeinschaft. Und die Leute machten keinen Hehl daraus, dass ihnen die Gegenwart Sareenas und der Anderen nicht gefiel. Aber das wäre noch untertrieben. Sie wünschten ihnen regelrecht die Pest an den Hals. Immerhin konnte es schnell geschehen, dass ihnen ein Ersatzmann, der sich als geschickter erwies, schnell eine Rückversetzung in die Stollen und Schächte einbringen konnte.
Sareena brachte noch einige Zeit in der Werkstatt zu, um einen Anzug auszubessern, während die Anderen ein paar Rüstungen zu den Einsatzmannschaften brachten. In der Halle war es dunkel und warm. Hinter den schmalen Fenstern leuchteten Blitze und das Rumpeln des Donners ließ den Boden vibrieren. Die Geräte, die von der Decke hingen, schaukelten leicht hin und her, als sei ein Windstoß durch die Halle gefahren.
Ein Gothrek machte einen Kontrollgang durch die Werkstatt, hielt bei Sareena kurz inne und schnaubte missmutig. Sein heißer Atem fuhr ihr unangenehm über den Nacken.
„Passt dir was nicht?“, meinte sie keck, ihre Furcht überspielend. Nicht auf eine Antwort abwartend widmete sie sich wieder dem kleinen Maschinenteil, das auf ihrem Schoss lag, und an dem sie herumfeilte, um Ruß und Schlackenreste zu entfernen.
Der Gothrek schnaubte noch einmal übellaunig und verzog sich.
Geraume Zeit war Sareena alleine. Schließlich hörte sie, dass sich jemand näherte. Es waren weder die Schritte von Jem, Jig, Tonja, Briggo oder einem der Guthrikwächter.
„Ein Frachter ist in der Eishölle abgestürzt.“ Sareena erkannte die männliche Stimme, und als sie sich umdrehte, sah sie den Sudey. Er war in die schwere, lederne Arbeitskleidung der Häftlinge gehüllt. Wassertropfen rannen an dem langen Mantel herab, Dampf stieg von seinen Schultern auf und zeigte an, dass er gerade aus der Schmelze kam.
„Ein Frachter?“, fragte Sareena. „Was soll mich das kümmern?“
„Briggo wird euch dorthin senden“, antwortete der Sudey. „Um äußerst reine Aureblöcke zu bergen.“
Sareena sah ihn fragend an. „Besonders reine Aureblöcke?“
„Ja. Sie werden für spezielle Zwecke hergestellt. Hier auf den Tauvaruwelten. In ganz besonderen Anlagen. Sie sind kostbar und ein Verlust ist nicht akzeptabel.“
Sareena versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, aber ihre Finger zitterten. Bei dem Gedanken, in die Eishölle hinaus zu müssen, wanderte ihr Blick zu einem Anzug hinüber, dessen Nackenschild sie gerade reparierte.
„Es wäre gut, wenn du ihn sorgfältig überprüfst“, fuhr der Sudey fort. „Die Gelenke frieren im Handumdrehen ein. Das hat schon manchen das Leben gekostet.“
„Gut zu wissen“, sagte die Tengiji. „Ich werde einen Vorrat an Glyz mitnehmen.“
Der Sudey nickte. Hinter der Schutzmaske blieb jede Gefühlsregung verborgen. „Dort draußen“, fuhr er fort, „unweit der Absturzstelle, befindet sich eine besondere Fabrik. Ich werde dich dort treffen. Denn ich will dir etwas zeigen.“
„Du hast einen Narren an mir gefressen, oder?“, meinte Sareena, aber der Sudey war schon wieder verschwunden.
Sie lachte. Schön, einen eigenen Schutzengel zu haben, sagte sie zu sich selbst, auch wenn er sich sehr seltsam benimmt und mir eher Angst macht. Die Aussicht auf einen Außeneinsatz machte sie zusätzlich nervös.

„Und weil dir das der Schlossgeist geflüstert hat“, sagte Jem spöttisch, „sollen wir uns jetzt Sorgen machen?“
„Ich glaube ihr“, sagte Tonja und machte dabei ein nachdenkliches Gesicht.
Jig hielt sich mit seiner Meinung zurück, aber auch ihm war anzusehen, dass er Sareenas Erzählung ernster nahm als der Oponi.
„Ist mir doch egal, was du denkst“, sagte Sareena. „Ich rate euch nur, euch vorzubereiten. Ich jedenfalls habe meinen Anzug gut ausgestattet und ihr solltet das auch tun.“
Jem betrachtete die schmale Kanzel der Apparatur, die für Sareena reserviert war. „Ein zusätzliches Heizaggregat“, murmelte er. „Erweiterter Tank für Brenn- und Schmiermittel. Was lernt ihr Tengiji denn noch so außer Kämpfen und Liebeskünsten?“
„Eine ganze Menge, von dem du keine Ahnung hast“, knurrte Sareena verstimmt. „Vieles haben wir aus der Oponikultur übernommen, besonders in Liebesdingen. Ich könnte dir so einiges beibringen. Und als Mechanikerin bin ich ebenso geschickt. Also halte besser deine Klappe. Du wirst mich noch brauchen.“ Sareena deutete auf die Arme und Beine ihres Anzuges. „Ich habe Wärmezuleitungen an die Gelenke geführt. Ist leider nur behelfsmäßig. Hoffentlich reicht es aus, um übermäßige Eisbildung zu verhindern.“
„Wie wäre es, wenn wir die Hydraulik anwärmen?“, schaltete sich Jig ein. „Das wärmt die gesamte Maschinerie.“
„Gute Idee“, antwortete Sareena und hob anerkennend die Augenbrauen. „Ich werde das noch nachholen.“
Jig und Tonja machten sich gleich an die Arbeit, ihre Anzüge entsprechend zu präparieren.
„Ist Zeitverschwendung“, sagte Jem. „Wir werden wahrscheinlich nur wieder auf das Dach geschickt.“
Dennoch nutzte Jem die Zeit und tat ebenfalls, was er konnte, um seinen Schutzanzug aufzurüsten, unterbrach seine Arbeiten aber immer wieder, um ab und an spitze Bemerkungen abzugeben. Immerhin folgten etliche andere aus der Gruppe um Sareena ihrem Beispiel und bereiteten sich auf ihren möglichen Außeneinsatz in der Eishölle vor. Inzwischen hatte es sich herumgesprochen, dass die junge Tengiji einen besonderen Freund hatte, der sie zu schützen schien. Allerdings geschah in den nächsten Stunden nichts Außergewöhnliches und die Gothreks schafften weitere Maschinenteile heran, die repariert werden mussten.
In Sareenas Nähe arbeitete ein Mann, der sie ständig zu beobachten schien. Es war älter als die anderen Männer in der Anlage, hatte einen grauen Haarkranz und ein scharf geschnittenes Gesicht. Sareena hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Seine hellen, blauen Augen fixierten sie mit wachem Blick.
„Sieht so aus, als sei das Haus Komeru in Ungnade gefallen.“ Seine Worte hatten weder Mitleid noch Spott. Genauer gesagt drückte er lediglich die Fakten aus.
„Woher willst du das wissen?“, gab Sareena zurück.
Er ließ seinen Blick über ihre Uniform schweifen. „Du bist keine Verräterin“, sagte er. „Sonst hättest du die Uniform gewechselt, oder man hätte bei deiner Verhaftung die Embleme des Hauses entfernt.“ Er kam einen Schritt näher. „Nur deinen Rang versuchst du zu verbergen. Du hattest eine hohe Position inne, nicht wahr?“ Er betrachtet die verbliebenen Nähte von Epauletten und Rangabzeichen. Der Stoff war nicht gerissen, was darauf hindeutete, dass man sie sorgsam und respektvoll entfernt hatte. Offenbar hatte die Tengiji das selbst getan.
„Leibgarde des Königs“, folgerte der Mann. „Du wurdest in einem regulären Einsatz gefangen – so wie es aussieht, hat man den König ebenfalls gefangen genommen; oder gar getötet? Und du wurdest umgehend hierher gebracht, als Verräterin an Sargon dem Großen. Kein Prozess, keine Verhandlung.“
Sareena antwortete nicht. Wie sie es gelernt hatte, setzte sie ein ausdrucksloses Gesicht auf, um ihre Gedanken und Gefühle nicht zu enthüllen. Aber der Mann schien dennoch in ihrem Gesicht lesen zu können oder er kannte diese Technik.
„Du willst von hier verschwinden, nicht wahr?“ Der Mann lachte verächtlich. „Und du willst deinen König rächen.“ Er kam noch einen Schritt näher und flüsterte: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten von hier zu entkommen.“
Sareena setzte ein fragendes Gesicht auf.
„Der Tod ist eine davon“, fuhr der Mann fort.
„Und die andere?“
„Ein Wunder Gottes.“ Für einen Augenblick war sein Ton fast feierlich und ernst.
Sareena raffte sich auf und sah ihrem Gegenüber stolz in die Augen. „Dann will ich auf ein Wunder hoffen oder eines bewirken.“
Der Mann wendete sich verächtlich ab. „Vergeblich“, sagte er laut und hob die Arme in die Höhe, als riefe er zum Himmel. „Dies ist ein Ort, an den Gott nicht schaut.“
„Ist schon gut, Elias.“ Jem war hinter dem Mann aufgetaucht und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Ich hab’s ihr gesagt“, wiederholte der Mann mürrisch und ging. „Ich hab’s ihr gesagt, wir sind die Verdammten des Universums.“
Jem sah ihm noch einen Augenblick nach, bevor er sich an Sareena wandte. „Jig und ich haben nur darauf gewartet, wann er auftauchen und dir eine Predigt halten wird.“
„Wer ist das?“, wollte Sareena wissen.
„Er war Polizeikommissar auf Vanetha“, sagte Jem. „Wie ich hörte, sogar ein sehr Guter. Hat sich wohl einmal zu viel mit dem falschen Gauner angelegt. Jetzt begnügt er sich damit, die Neuen zu ärgern und ihnen Angst zu machen. Wie du gesehen hast, hat er einen gehörigen Hang zur Theatralik.“
Sareena nickte.
„Lass dir keine Angst einjagen.“
„Ich hab keine“, antwortete sie knapp. „Er hat mir nur gesagt, was ich ohnehin schon weiß. Aber ich habe vor ihn zu verblüffen.“

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